Dreckschleudern Zementwerke: Pingwin Planet und AefU reichen Aufsichtsanzeige im Kanton Aargau ein

Bild: Pingwin Planet

Abgase aus Schweizer Zementwerken übersteigen oft die Grenzwerte, obwohl diese lascher sind als z.B. in Deutschland.  Die kantonalen Behörden schöpfen aber nicht einmal sämtliche Vorgaben des Luftreinhaltungsrechts aus. AefU und Pingwin Planet reichen jetzt Aufsichtsanzeige im Kanton Aargau ein.

Die Umweltorganisationen Pingwin Planet (PP) und die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (Aefu) haben im Kanton Aargau Aufsichtsanzeige gegen die Abteilung für Umwelt eingereicht. Grund: Die Vollzugsbehörden sind gegenüber Schadstoffemissionen von Zementwerken viel milder, als ihnen das schweizerische Luftreinhaltungsrecht vorschreiben würde - und dieses ist erst noch viel industriefreundlicher als etwa das deutsche Recht.

Zum Einen räumte die - in anderen Bereichen vorbildliche - AfU dem Zementwerk Wildegg/AG eine vier dauernde Übergangsfrist für die "vollständige Einhaltung" des Grenzwertes für Benzol-Emissionen ein, obwohl gemäss dem Zementwerk-Emissions-Experten Josef Waltisberg die nötigen Massnahmen "innert weniger Wochen" umgesetzt werden könnten. Und dabei sind gemäss Luftreinhaltungsrecht die Emissionen von krebserregenden Stoffen wie Benzol stets auf das technisch mögliche Minimum zu reduzieren. Der "Grenzwert" ist denn auch kein eigentlicher Grenzwert, sondern eine Mindestemissionsreduktion.

Zum Anderen hat die kantonale Behörde auch im Bereich der Stickstoffoxide (NOx) nicht das vorgekehrt, was die Luftreinhalteverordnung (LRV) eigentlich vorschreiben würde: auch hier verstehen Bund und Kantone den Mindestemissionsreduktionswert von 500 mg/m3 als "Grenzwert" - und die "freiwillige" Verpflichtung der Zementwerke, "im Durchschnitt" nicht mehr als 450 mg/m3 auszustossen, wird als tolle Errungenschaft abgefeiert, obwohl auch hier die LRV vorschreiben würde, die Emissionen so weit zu reduzieren, als dies technisch möglich und betrieblich machbar ist. Pingwin Planet und AefU stellen sich auf den Standpunkt, dass die kantonalen Behörden die Zementwerke auf den technisch machbaren NOx-Emissions-Zielwert von 200 mg/m3 verpflichten müssen - so und nicht anders ist die entsprechende Bestimmung in der LRV zu verstehen, Branchenvereinbarung mit "freiwilligen" Grenzwerten hin oder her.  Deutschland macht es sowohl technisch als auch rechtlich vor: ab 2019 müssen alle deutschen Zementwerke den Stickstoffoxid-Grenzwert von 200 mg/m3 einhalten. Die Aufsichtsanzeige liegt nun auf dem Tisch des Departements für Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons AG. 

Hintergrund der Aufsichtsanzeige

Zementwerke in der Schweiz sind amtlich bewilligte Dreckschleudern: Der Grenzwert für das giftige Schwefeldioxid liegt zehn Mal und jener für die teilweise krebserzeugenden, flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) achtfach höher als in der Europäischen Union (EU). Die hiesigen Zementwerke dürfen auch doppelt so viel Staub ausstossen als in Deutschland. Aber: Nicht einmal an diese überhöhten Grenzwerte halten sich die Zementwerke zuverlässig, wie das KonsumentInnen-Magazin Saldo im Juni 2018 aufzeigte.

Saldo hatte bei den Behörden die Abgas-Messwerte der Jahre 2014 bis 2016 eingefordert und die erhaltenen Daten nun AefU und PP zur Verfügung gestellt.

 

Defekte Messgeräte?

Eine weitere Auswertung zeigt: Die Messgeräte scheinen in einigen Zementwerken mangelhaft zu funktionieren. So etwa im Werk Wildegg (AG) von jura cement: «Die 2015 und 2016 gemessenen Staubwerte» seien «unbrauchbar», kritisiert Josef Waltisberg. Er arbeitete mehr als 30 Jahre auf dem Gebiet der Schadstoffemmissionen von Zementfabriken u.a. beim Zementkonzern LafargeHolcim. Auch «eine Beurteilung der VOC-Emissionen in Wildegg», so Waltisberg, sei von 2014 bis 2016 «nicht möglich». Die Werte würden «auf Probleme mit dem Messgerät hinweisen». Jura Cement äussert sich auf Anfrage «erstaunt über die Aussage in Sachen fehlerhafte Messeinrichtungen.» Sie hätten korrekt funktioniert und würden dies auch weiterhin tun.

 

Probleme mit dem Staubmessgerät vermutet Waltisberg auch im Zementwerk in Siggenthal (AG) von Holcim: «Zwar scheint der Staubgrenzwert 2014 eingehalten worden zu sein. Aber: Das Staubmessgerät mass wohl mehrere Monate lang nicht richtig», erläutert der Fachmann. Holcim bestreitet auf Anfrage eine Fehlfunktion.

Auch die Vigier Ciment SA in Rechenette (BE) scheint bei den Staubmessungen Schwierigkeiten zu haben. Waltisberg: «Es ist offensichtlich, da stimmt etwas nicht.» Vigier aber teilt mit, sie habe «keine besonderen Probleme» mit «den Staubemissionmessungen. 
Die gesetzlichen Normen» würden «vollständig eingehalten».

Fehlende Messwerte

In den Messreihen von 2016 für das Holcim-Zementwerk Untervaz (GR) würden «45 Tagesmittelwerte für Stickoxid und Schwefeldioxid» fehlen, obwohl der Zementofen in Betrieb war. Das erstaunt», hält Waltisberg fest. Holcim räumt auf Anfrage ein, in Untervaz sei das Messgerät defekt gewesen.

Kein neuester Stand der Technik?

Bei Zementwerken müssen die Grenzwerte für den Ausstoss von krebserzeugenden Substanzen und Stickoxiden (NOx) nicht nur eingehalten sein, sondern gemäss Luftreinhalteverordnung (LRV) auch dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Wie es scheint, will das aber niemand durchsetzen: weder die kantonalen Behörden, noch der Bundesrat und auch nicht der Nationalrat, obwohl die technischen Möglichkeiten vorhanden sind, wie nachstehende Beispiele zeigen.

  • Krebserzeugende Substanzen: Das Zementwerk Wildegg von jura cement hat 2017 an 172 Tagen und 2016 an 39 Tagen mehr krebserregendes Benzol in die Luft geblasen als erlaubt. Laut Abteilung für Umwelt (AfU) des Kantons Aargau stellten diese Benzolemissionen «für die Bevölkerung keine Gefährdung» dar. Dies liegt aber keineswegs im Ermessen eines kantonalen Amtes. Gemäss LRV sind die «Emissionen von krebserzeugenden Stoffen unabhängig vom Risiko der durch sie verursachten krebserzeugenden Belastung so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich ist und wirtschaftlich tragbar ist.»[5]

Um das Benzol-Problem zu lösen, gewährt der Kanton Aargau eine Übergangsfrist bis Ende 2020. Josef Waltisberg, der Ex- Mitarbeiter von Holcim aber sagt, um den Benzol-Emissionen zu senken, müssten lediglich «die Verteilung der Brennstoffe innerhalb des Zementofens und/oder die dortige Luftverteilung» geändert werden. Dies sei «mit wenig Aufwand sehr kurzfristig» möglich. Eine Frist von vier Jahren sei «unnötig». Immerhin: Seit März 2018 seien die Tagesgrenzwerte beim Benzol-Ausstoss eingehalten, liess jura cement via Aargauer Zeitung verlauten.

  • Stickoxide (NOx): Schweizer Zementwerke werden ab 2019 mehr als doppelt so viel NOx ausstossen wie ihre deutsche Konkurrenz, wo der NOx-Grenzwert auf Grund wirksamer neuer Technik dann stark gesenkt wird (vgl. auch OEKOSKOP 3/17).

«Die deutschen Zementhersteller investieren gemäss dem ‹Verein Deutscher Zementwerke› derzeit rund 450 Millionen Euro, um diesen neuen NOx-Grenzwert von 200 Milligramm pro Kubikmeter Luft (mg/m3) einzuhalten», betont Waltisberg. In der Schweiz aber soll auch nach 2019 eine NOx-Limite von 450 mg/m3 für den Durchschnitt aller Schweizer Zementwerke gelten.

«Offensichtlich war in der Schweiz bislang der Wille nicht vorhanden, die Emissionen von krebserzeugenden Substanzen und NOx so zu reduzieren, wie dies das geltende Recht vorschreibt», fasst Lorenz Hirni, Co-Präsident der Umweltorganisation Pingwin Planet (PP) zusammen. Dr. med. Peter Kälin, Präsident der ÄrztInnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU), ergänzt: «Das akzeptieren wir nicht

Tiefere Grenzwerte durchsetzen

AefU und PP verlangen die Begrenzung des Schadstoffausstosses der Schweizer Zementwerke gemäss den tieferen Grenzwerten in den Nachbarländern. Bei den krebsauslösenden Substanzen und bei NOx sind einerseits tiefere Grenzwerte festzulegen. Andererseits müssen diese Grenzwerte wie bereits jetzt die LRV sagt, als Mindestreduktionsziele verstanden werden, was bislang nicht der Fall war. Zudem erheben die beiden Umweltverbände  gemeinsam Aufsichtsanzeige gegen die ungenügende Abgaskontrolle der Abteilung für Umwelt (AfU) des Kantons Aargau ein.